Else Kienle (Jacobowitz/LaRoe/Gierding/Robertson), geb. Kienle

Allgemeines

Nachname:
Kienle (Jacobowitz/LaRoe/Gierding/Robertson)
Geburtsname:
Kienle
Vorname:
Else
Geburtsdatum:
26.02.1900
Geburtsort:
Heidenheim
Sterbedatum:
08.06.1970
Sterbeort:
USA
Beruf des Vaters:
Realschullehrer, später Beförderung zum Oberrealschullehrer, schließlich zum Studienrat
Ehemann:
1. Ehe: Stefan Jacobowitz
2. Ehe: George LaRoe
3. Ehe: Ernest C. Gierding
4. Ehe: Wesley C. Robertson
Kommentar zum Ehemann:
Stefan Jacobowitz, (1886-1946), Inhaber der Württembergischen Privatbank. Kienle heiratet ihn nach dessen Scheidung im Jahre 1929, die Ehe wird jedoch 1932 wieder geschieden
In Südfrankreich lernt Kienle den Amerikaner George LaRoe kennen, beide heiraten 1932, lassen sich jedoch bereits vermutlich 1936 wieder scheiden
Kienle behält den Namen LaRoe und ehelicht 1937 den Zahnarzt Ernest C. Gierding, die Ehe hält bis vermutlich 1938
Schließlich lernt Kienle-LaRoe Wesley C. Robertson kennen, einen Konzertsänger und Modezeichner indianischer Abstammung. Beide heiraten 1950 und leben bis zu dessen Tod 1968 zusammen.
Sonstiges:
Kienles Vater hätte seine Tochter gerne als Studentin der Philiologie gesehen, sie setzte jedoch mit Hilfe der Unterstützung ihrer Großmutter ihren Berufswunsch durch. Im Laufe ihres Studiums erkrankte ihr Bruder an einer Ablösung der Netzhaut und wäre ohne die Hilfe eines medizinischen Außenseiters erblindet. Kienle nennt diesen Vorfall als Begründung für ihr Interesse an zuerst augenärztlichen Fragestellungen und schließlich an der Chirurgie.
Eltern : Otto (1872-1946) und Elisabeth Kienle (1873-1944), geb. Zeller.

Ausbildung

Ausbildung und Schule:
Kienle besuchte zwei Jahre in Heidenheim die Töchterschule, anschließend die Realschule in Niederstetten, wechselte aufgrund des Umzuges der Familie auf das Gymnasium in Ellwangen und legte schließlich als einziges Mädchen ihres Jahrganges am Georgii-Gymnasium in Esslingen als Klassenbeste ihr Abitur ab.
Sie studierte ab dem WS 1918 Medizin in Tübingen, bestand hier nach fünf Semestern das Physikum, verbrachte weitere zwei Semester in Kiel und beendete die universitäre medizinische Ausbildung nach weiteren drei Semestern in Heidelberg, wo sie 1923 das Staatsexamen ablegte und 1924 promovierte.
Ihr Medizinalpraktikum absolvierte Kienle an verschiedenen Krankenhäusern in Stuttgart.
Ort des Staatsexamens:
Heidelberg
Datum des Staatsexamens:
1923
Ort der Promotion:
Heidelberg
Datum der Promotion:
1924
Datum der Approbation:
01.02.1925

Beruf

Art der Tätigkeit:
1923-31 Assistenzärztin, zuerst auf der geschlossenen Abteilung für Geschlechtskrankheiten des Stuttgarter Katharinenhospitals, dann auf der Männerabteilung für Geschlechtskranke ebda.
1928 Eröffnung einer Praxis für Haut-, Harn-, Beinleiden und Kosmetik in Stuttgart, Marienstr. 25
1931 Aufgabe der Stuttgarter Existenz und Neueröffnung einer Praxis in Frankfurt a. M., Bockenheimer Landstr. 63
Kommentar zur Tätigkeit:
Kienle interessierte sich Zeit ihres Lebens für die Chirurgie, ihre ersten Anstellungen nahm sie in einer Zeit an, als es für Frauen aussichtslos war, auf chirurgischen Abteilungen beschäftigt zu werden. Mit Unterstützung ihres ersten Mannes eröffnete sie eine dermatologische Praxis, wo sie aber auch kleinere chirurgische Eingriffe, darunter vor allem auch Schwangerschaftsabbrüche, selbst vornahm. In dieser Praxis unterhielt sie eine der wenigen Sexualberatungsstellen im süddeutschen Raum des "Reichsverbandes f. Geburtenregelung u. Sexualhygiene".
Kienle engagierte sich bereits in ihrer Stuttgarter Praxis für die Frage des § 218 und nahm Schwangerschaftsabbrüche an Patientinnen vor, die ihr z.T. von ihrem befreundeten Kollegen Friedrich Wolf überwiesen wurden. Wolf war prominentes Mitglied der KPD und gleichzeitig Autor des 1929 uraufgeführten Stückes "Cyankali". Kienle und Wolf wurden gemeinsam unter dem Vorwurf der gewerbsmäßigen Abtreibung am 19.02.1931 verhaftet, ein Kollege hatte anonyme Anzeige erstattet. Obwohl Kienle bereits einige Wochen vorher von der drohenden Verhaftung erfahren hatte, weigerte sie sich, die belastenden Krankenakten zu vernichten. Wolf kam nach Zahlung einer Kaution von 10.000 RM am 27.02. 1931 frei, Kienle dagegen blieb in Haft. Nachdem ihr zusätzlich ambulant vorgenommene Schwangerschaftsabbrüche vorgeworfen wurden, trat sie in den Hungerstreik. Im Laufe ihrer Haftzeit entstand das Buch "Frauen". Wegen Haftunfähigkeit wurde Kienle am 28.03.1931 entlassen und fand sich inmitten einer, von den unterschiedlichsten Organisationen getragenen, Kampagne gegen den § 218 wieder. Zusammen mit Wolf sprach sie am 15.04.1931 im Berliner Sportpalast vor 10.000 Besuchern im Rahmen einer "Volksaktion gegen den § 218", initiiert von der KPD. Im Mai 1931 folgten Kienle und Wolf einer Einladung der sowjetischen Ärzte- und Schriftstellerorganisation in die SU. Nach ihrer Rückkehr arbeitete Kienle bis zu ihrer Emigration 1932 in ihrer neueröffneten Praxis in Frankfurt a.M., da sie aufgrund ihrer Verhaftung ihre Existenz in Stuttgart aufgeben mußte.
Nach ihrer Emigration widmete sie sich in den USA fast ausschließlich der plastischen Chirurgie.
Tätigkeitsorte:
1923-31: Stuttgart
1931-1932: Frankfurt a. M. , Bockenheimer Landstr. 63
Haupttätigkeitsort:
Stuttgart
New York
Veränderungen nach 1933:
Im Herbst 1932 emigrierte Kienle über Südfrankreich in die USA. Damit entging sie vermutlich einer erneuten Verhaftung und Anklage, die aufgrund der von ihr durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche gegen sie erhoben werden sollte. Eventuell steht mit ihrer Flucht auch der Tod von Edith Hofmann in Verbindung, die nach einer von Kienle durchgeführten Schwangerschaftsunterbrechung starb. Kienle absolvierte in den USA eine mündliche Prüfung, die ihr die Eröffnung einer eigenen Praxis in New York ermöglichte. Sie arbeitete bis zu ihrem Tode in dieser Stadt, nahm allerdings nicht mehr zum Thema der Abtreibung Stellung und wandte sich ausschließlich der plastischen Chirurgie zu.
Mitgliedschaften:
VsÄ (Verein sozialistischer Ärzte)

Literatur

Quellen und Sekundärlitertur

Quellen:
RMK 1933
E. Kienle, in: Weltbühne. Wochenschrift f. Politik-Kunst-Wissenschaft, 1. Halbjahr 1931. Nach: E. Kienle, NA 1989, 159
Grossmann, Abortion and Economic Crisis, NY 1984, S. 66-70
Dies., Ärztinnen und Volksgesundheit, Berlin 1986, S. 204-209
K. v. Soden, Sexualberatungsstellen der Weimarer Republik, 1988
Hagemann, Frauenalltag und Männerpolitik, 1990, S. 245-262
Dies. (Hg.), Eine Frauensache, 1991, S. 96-198
Wilhelm Kallmorgen: Siebenhundert Jahre Heilkunde in Frankfurt am Main, 1936, S.321
A. Grossmann, Abortion and Economic Crisis, NY 1984, S. 66-70
Dies., Ärztinnen und Volksgesundheit, Berlin 1986, S. 204-209
K. Hagemann, Frauenalltag und Männerpolitik, 1990, S. 245-262
Dies. (Hg), Eine Frauensache, 1991, S. 96-198
Riepl-Schmidt, Maja: Else Kienle (1900-1970), in: Frauen im deutschen Südwesten. Hrsg. v. Birgit Knorr u. Rosemarie Wehling: Stuttgart, Berlin, Köln 1993, S. 269-274
Bettina Heermann: Else Kienle (1900-1970) - Eine Ärztin im Mittelpunkt der Abtreibungsdebatte von 1931. Aus: Eva Brinkschulte (Hg.).: Weibliche Ärzte. Die Durchsetzung des Berufsbildes in Deutschland. Berlin 1993, S. 114-122
Steinecke, Verena: "Ich mußte erst zur Rebellin werden trotz Bedrohung und Gefahr" - das gute wunderbare Leben der Ärztin Else Kienle. Stuttgart 1992
Klingenstin, Eva: Wegen Abtreibung verhaftet: der Fall Dr. Else Kienle. Ms. München: Bayerischer Rundfunk 1992, 21. S. (= Geschichte und Geschichten)
Dieterich, Susanne: Weise Frau. Hebamme, Hexe und Doktorin. Leinfelden-Echterdingen 2. Aufl. 2007, S. 176 - 181
Portrait:
Ja, in: K. v. Soden, Sexualberatungsstellen der Weimarer Republik, 1988, o.S.
A. Grossmann, Abortion and Economic Crisis, NY 1984, S. 66-70
Dies., Ärztinnen und Volksgesundheit, 1986, S. 204-209
Herrmann, Else Kienle, in: Brinkschulte, Durchsetzung des Berufsbildes, 1993, S. 119
Dietrich, S., Weise Frau, 2007, S. 177 (zus. mit Friedrich Wolf)

Eigene Publikationen

Autobiographie:
Frauen. Tagebuch einer Ärztin. 2. Aufl. Stuttgart 1989
Woman Surgeon. USA 1957, deutsch: Mit Skalpell und Nadel. Rüschlikon-Zürich 1968
Publikationen:
Frauen. Tagebuch einer Ärztin. 2. Aufl. Stuttgart 1989
Woman Surgeon. USA 1957, deutsch: Mit Skalpell und Nadel. Rüschlikon-Zürich 1968
Deskriptoren:
Approbation in Weimarer Republik
Sexualaufklärung
Ärztin im Emigrationsland
(Auto-)Biographie vorhanden
VsÄ (Verein sozialistischer Ärzte)
§ 218