Lotte Czempin, geb. Landé

Allgemeines

Nachname:
Czempin
Geburtsname:
Landé
Vorname:
Lotte
Geburtsdatum:
25.05.1890
Geburtsort:
Elberfeld
Sterbedatum:
19.09.1977
Sterbeort:
Oberursel
Kommentar zu den Lebensdaten:
Seidler gibt den Termin der Eheschließung mit Ende 1933 an, Böhm mit 1934
Bekannt ist sie eigentlich nur unter dem Namen Landé.
Konfession:
mosaisch
Beruf des Vaters:
Rechtsanwalt, Justizrat, sozialdemokratischer Kommunalpolitiker
Ehemann:
Herbert J. Czempin
Kommentar zum Ehemann:
(31.03.1907-1992), Heirat am 29.03.1934. Musikpädagoge, Sänger
Sonstiges:
Der Vater der Ärztin war der Justizrat und Rechtsanwalt Hugo Landé, ein sozialdemokratischer Kommunalpolitiker. Mutter: Thekla Landé. Nachdem die Kinder aus dem Haus waren, ging sie ebenfalls in die Politik. Sie war die erste weibliche Abgeordnete im Rheinland. Ihr Betätigungsfeld war besonders das Wohlfahrts- u. das Mädchenerziehungswesen.
Schwester Eva arbeitete später als Lehrerin und heiratete den sozialdemokratischen Pädagogen Erich Stedeli. Der Bruder Alfred Landé studierte Physik, habilitierte sich 1919 in Frankfurt a.M. und nahm 1931 eine Professur an der Ohio State University in Columbus, USA, an.

Ausbildung

Ausbildung und Schule:
Nach dem neunjährigen Besuch einer höheren Mädchenschule in Weststadt besuchte sie vier Jahre lang einen privaten Realgymnasialkurs in Elberfeld. Ostern 1909 legte Lande das Abitur in Remscheid am dortigen Realgymnasium ab, um anschließend 10 Semester Medizin in München, Heidelberg und Berlin zu studieren. Das Staatsexamen bestand sie im Mai 1914 in München. Nach nur zweimonatiger Tätigkeit als Medizinalpraktikantin bekam sie wegen Kriegsausbruch die Approbation. Bis Dezember 1914 war sie an der Rombergschen Klinik tätig, 1915 arbeitete sie an der Göttinger Kinderklinik.
Ort des Staatsexamens:
München
Datum des Staatsexamens:
19.05.1914
Ort der Promotion:
München
Datum der Promotion:
1914
Datum der Approbation:
01.08.1914

Beruf

Fachbezeichnung:
Kinderärztin
Art der Tätigkeit:
1915-1917 Assistenzärztin an der Kinderklinik Göttingen
1917-1920 Assistenzärztin am KAVH-Berlin, Leiterin der offenen und geschlossenen Fürsorge
1920-1923 Assistenzärztin (Sekundarärztin) am Städt. Säuglingsheim Breslau
1923 Ass.-Ärztin am Kaiser-u.-Kaiserin-Friedrich-Kinderkrankenhaus in Berlin
1926/27 Assistenzärztin Kinderkreiskrankenhaus- Berlin
1926 Stadtgesundheitsamt Frankfurt a. M.
1928, 1929, 1931, 1933 Stadtärztin, Frankfurt a. M.
1931-33 Beamtin, Stadtärztin, Kinderärztin, Frankfurt a. M.
1937 Kinderärztin, Berlin
1941 - Mitte der 50iger Jahre "Junior Physician", Chicago
Mitte der 50iger Jahre Kinderärztin, Frankfurt a.M.
Kommentar zur Tätigkeit:
Ab dem 01.04.1917 war sie als Assistenzärztin am Kaiserin-Auguste-Viktoria-Krkhs. Berlins beschäftigt, wo sie Einrichtungen der geschlossenen und der offenen Fürsorge leitete und Mutterschulkurse für Ärzte und Pflegerinnen abhielt. Sie erhielt dort 100.- Gehalt, freie Kost und Logis, sowie eine "Kriegszulage" in unbekannter Höhe.
1920 wechselte sie nach Breslau an das Städt. Säuglingsheim. Dessen Direktor wollte allerdings ursprünglich die Stelle "nur im Notfall" mit einer Frau besetzen. In Breslau war Landé Mitherausgeberin eines in Leipzig erscheinenden Hebammenlehrbuches. Sie betreute dort außerdem die Säuglings- und Kleinkinderfürsorgestelle, unterrichtete an der Sozialen Frauenschule und an der Säuglingspflegeschule in Breslau.
1923 kehrte Lande nach Berlin zurück und arbeitete am Kinderkrankenhaus der Stadt Berlin bei Prof. Finkelstein. Sie leitete eine Station, unterrichtete angehende Säuglingsschwestern und arbeitete in der Poliklinik
Am 25.6.1924 hielt sie vor dem Verein f. innere Medizin u. Kinderheilkunde in Berlin (Päd. Sektion) einen Vortrag über den "Fall von Dermatitis herpetiformis".
Mitte der 20er Jahre zog Landé nach Frankfurt a. M., um dort eine Stelle als Stadtärztin anzunehmen. Am 01.04.1928 wurde sie Stadtärztin, am 02.11.1931 "auf Lebenszeit" verbeamtet. 1932 erhielt sie 462 M monatliches Gehalt. Sie war die einzige Kinderärztin am Stadtgesundheitsamt und betreute das Städtische Kinderheim Hammelgasse, den Gesundheitsbezirk "Ritterwald" u. ein Städt. Säuglingsheim in Frankfurt a. M. Einmal in der Woche arbeitete sie in der Fürsorgestelle Abt. "Großmarkthalle". Nebenamtlich unterrichtete sie an der Frankfurter Sozialen Frauenschule in Mütter- u. Kinderfürsorge, hielt Vorträge im Volksbildungsheim u. leistete Aufklärungsarbeit an den Schulen.
Sie war aktives Mitglied des BdÄ, dessen Jugend- und Alkoholausschuß sie angehörte. Des weiteren gehörte sie dem Ausschuß zur Bearbeitung des Bewahrungs-, Strafvollzugs-, und Irrengesetzes an, war zweite Schriftführerin des BdÄ und hielt 1929 ein Referat vor der Frankfurter Ortsgruppe des BdÄ über den Pariser Ärztinnenkongreß. Lande gehörte auch dem VSÄ, in dessen Vorstand sie in Frankfurt a.M. saß, und der SPD an.
1930 sprach sie als Teilnehmerin an der Fachkonferenz des BdÄ zum Thema "Schwangerschaftsunterbrechung", wobei sie auf ihre Erfahrungen als Frankfurter Fürsorgeärztin zurückgreifen konnte. In diesem Vortrag plädierte Lande gegen die bedingungslose Freigabe des § 218 und votierte für die Aufklärung über Präventivmaßnahmen. Die Unterbrechung der Schwangerschaft sollte nur von approbierten Ärzten vorgenommen werden können, die medizinische Indikation sollte auch bei körperlicher und geistiger Erschöpfung gestellt werden und die eugenische Indikation gehörte nach Landes Vorstellung ausgeweitet auf den Fall der Notzucht, der Asozialität und des Kinderreichtums
Tätigkeitsorte:
01.01.1915-31.03.1917 Göttingen
1917-1920 Berlin, Kaiserin-Auguste-Victoria-Kreiskrankenhaus
1920-1923 Breslau, Städt. Säuglingsheim
1923 Berlin, Kaiser-u.Kaiserin-Friedrich-Kinderkrankenhaus
1926/27 Berlin Reinickendorferstr. 61
1928, 1929, 1930 Frankfurt a. M., Feyerleinstr. 6
1930-33 Frankfurt a. M., Usingerstr. 7
1934-1937 Berlin, Luitpoldstr. 31
1937 Chicago, USA
1941 - 1951 Chicago, Dixon State Hospital
1953: Longs Peak Route, Estes Park, Colorado
1959 Rückkehr nach Deutschland, Taunus
1962: Königsstein (Taunus), Hainerbergweg 5
1969: Oberursel, Aumühlenstr. 10
Mitte der 50iger Jahre - ?, Frankfurt a.M.
Haupttätigkeitsort:
Berlin
Frankfurt a. M.
Veränderungen nach 1933:
Im Januar 1932 hielt sie im Rahmen der Ausstellung "Frauen in Not" einen Vortrag über das Thema "Probleme der unverheirateten Frau". Sie sprach darin auch über die erzwungene Enthaltsamkeit lediger Frauen und die darin begründete "sexuelle Not". Sie betrachtete außerehelichen Geschlechtsverkehr und die Selbstbefriedigung als legitime Mittel der Gesunderhaltung. Daraufhin beantragte die NSDAP in der Stadtverordnetenversammlung, Landè aus ihrem Amt als Stadtärztin zu entfernen. Am 31.03.1933 wurde sie als politisch unzuverlässig beurlaubt und am 08.08.1933 wegen jüdischer Abstammung auf Grund des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" entlassen. Sie eröffnete daraufhin eine kleine Privatpraxis in Frankfurt a. M.
Am 29.03.1934 heiratete Landé Herbert J. Czempin. Sie folgte ihm nach Berlin und ließ sich dort als Kinderärztin mit einer Privatpraxis nieder. Sie unterrichtete auf zweimal in der Woche Gesundheitspflege in einem jüdischen Kindergarten.
1933 flüchtete ihre Schwester Eva Stedeli aus Angst vor einer Verhaftung durch die SA zu ihr nach Frankfurt und von dort aus in die Schweiz, wo mittlerweile ihr Vater Hugo Landé lebte.
Am 1.02. 1937 emigrierte sie allein nach Chicago, USA. Im Sommer 1937 war sie dann in der finanziellen Lage, ihren Mann und dessen Familie herüberzuholen. Sie war als Hilfskraft am Chicago Tuberculosis Institute beschäftigt, später am Stadtgesundheitsamt Chicago als Krankenschwester. 1938 bestand sie das Medical State Board Examination. Aufgrund der fehlenden amerikanischen Bürgerrechte bekam sie vorerst keine Lizenz. Erst 1941 fand sie eine Anstellung am Dixon State Hospital Illinois. Dort arbeitete sie bis zu ihrer Pensionierung 1951.
Sie erhielten eine Entschädigung der Stadt Frankfurt a.M., die ihnen ein bescheidenes Leben in Estes Park, Colorado, ermöglichte.
Doch 1959 kehrten sie nach Deutschland zurück. Lotte Landé führte ein "Heim für nervöse Kinder", Herbert Czempin arbeitete am Frankfurter Konservatorium als Gesangslehrer.
Mitgliedschaften:
VsÄ (Verein sozialistischer Ärzte) (1928 2. Vorsitzende der Ortsgruppe Frankfurt)
BdÄ (1. Vorsitzende der Ortsgruppe Frankfurt a.M. 1931)
SPD

Literatur

Quellen und Sekundärlitertur

Quellen:
L. Ballowitz, Geschichte der Kinderhk. aus dem Archiv des KAVH-Berlin, H. 12, S. 16, H. 1, V, H. 2, S. 49, H. 8, S. 59-61
S. Drexler, S. Kalinski, H. Mausbach: Ärztliches Schicksal 1933-1945, Frankfurt. a. M. 1990
Lebenslauf (Diss.)
Ch. Backhaus-Lautenschläger: Schicksal deutschsprachiger Emigrantinnen in den USA nach 1933. Pfaffenweiler 1991, S. 67
Neue Deutsche Biographie, Bd. 13, Berlin 1992, S. 494/95
Ärztin 6(1930), S. 191, 7 (1931), S. 43-44
Ärzteblatt für Berlin 39(1934), 304, 42(1937), 227
Mschr. Dtsch. Ärztinnen 4 (1928), S. 15, S. 226. 6 (1930). S. 16, S. 64
Soz. Arzt 5 (1929), S. 146
Leibfried, Tennstedt: Berufsverbot... Bremen 1980, S. 234
Kristina Böhm: Kinderärztin und Sozialpolitikerin: Charlotte (Lotte) Landé, verh. Czempin. In: Geschichte im (!) Wuppertal. 10(2001), S. 107-110
Kristina Böhm: die Kinderärztin Lotte Landé, verh. Czempin (1890-1977). Stationen und Ende einer sozialpädiatrischen Laufbahn in Deutschland. Berlin 2003, zugl. Berlin, ZHGB, Med. Diss. v. 12.12.2003 (mit Schriftenverz.)
Archivalien
Kohler
Cummulated Index Medicus 1927-1945
Eduard Seidler: Kinderärzte 1933-1945..., Bonn 2000
Daub, Ute, Lennert, Thomas: Charlotte Landé (1890-1977), Kinderärztin. In: E. Brychta, A.- M. Reinhold, A. Mersmann, (Hrsg.): Mutig - streitbar - reformerisch. Die Landés. Sechs Biographien 1859-1988. Essen 2004, S. 97-123
Portrait:
Ja: In: L. Ballowitz (Hg.): Geschichte der Kinderhk. aus d. Archiv des KAVH - Berlin, H. 8, Westfalen 1991, S. 61
Ebda., H. 12, S. 17
In: A. Ylppö, Mein Leben unter Kleinen und Großen, Lübeck 1987, S. 44
K. Böhm: a.a.O., S. 107

Eigene Publikationen

Publikationen:
Über die Palpabilität der Arterien. München, Diss. Med. v. 1914
Zur Kasuistik und Therapie der Rumination im Säuglingsalter (Mschr. Kinderhk. 14 (1916).S.??) (Nach: Münch. Med. Wschr. 64 (1917), S. 452)
Klinische Betrachtungen über Erscheinung und Nachwirkung einer schweren Masernepidemie in Göttingen (Mschr. Kinderhk. 14 (1916) S.??), Nr. 2. Nach: Münch. Med. Wschr. 64 (1917), S. 182)
Die primäre Nasendiphterie im Säuglings- und Kindesalter (Jahrb. Kinderhk., Bd. 36, H. 1.S.??) ( Nach: Münch. Med. Wschr. 64 (1917), S. 1434)
Die Diagnose der primären Nasendiphterie und der Hautdiphterie im Säuglings- und Kindesalter (Berl. Klin Wschr., Nr. 51, 1917. Nach: Münch. Med. Wschr. 65 (1918), S. 25)
Dextrokardie durch blasige Missbildung der Lunge (In: Zentralbl. Gyn. 1918, Nr. 18. Nach: Münch. Med. Wschr. 65 (1918), S. 573) und: in: Zschr. f. Kinderheilkunde, Bd. 17, Orig., H.3/4, S: 245-254, nach: Anat. Anz. Bd. 51 (1918/19), S. 9)
Entwicklung und Schicksal der im Kaiserin-Auguste-Victoria-Haus geb. Kinder. (Beiträge zur Physiologie, Pathologie u. soz. Hygiene des Kindesalters a. d. Kaiserin-Auguste-Victoria-Haus zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit im Deutschen Reiche (1919). S.1-74
Beitrag zur Hämatologie, Ätiologie und Therapie der Frühgeburtenanämie (Zschr. Kinderhk. 1920, Nr. 25.) S.295-336. Nach: Münch. Med. Wschr. 67 (1920), S. 852)
Zur Aetiologie und Therapie der Dystrophie im 2.- 4. Lebensjahr (Zschr. Kinderhk., Bd. 39, H. 5.) S.495-515. Nach: Münch. Med. Wschr. 72 (1925), S. 1533)
Zur Klinik und Diagnose d. Hautdiphterie im Kindesalter. (Ergebnisse der inneren Medizin und Kinderheilkunde 14. Jg. (19??) S. 715-746)
Die Ätherbehandlung des Keuchhustens (Therapie der Gegenwart 65 Bd. 19??) S.61
Die Bedeutung des Vitamingehaltes der Nahrung für die Ernährungs- und Entwicklungsstörungen des Kindes (Dtsch. Med. Wschr. 52 (1926) 1388-1390
Zur Eisentherapie der Frühgeburtenanämie (Kinderkrhs.) (Zschr. Kinderhk. 1927, Bd. 42.) S.349-54, Nach: Münch. Med. Wschr. 74 (1927), S. 697)
Infantile Dystrophia musculorum progressiva, kombiniert mit Dystrophia adiposo-genitalis. (Zschr. für Kinderheilkunde 42. Bd. (1927) S.355-60)
Zur Kritik der ätiologischen Überschätzung des Geburtstraumas (Zschr. Kinderhk. 1928, Bd. 44.) S.535-545. Nach: Münch. Med. Wschr. 75 (1928), S. 367)
Die schulärztliche Betreuung psychisch und intellektuell anormaler Kinder (Ärztin 5 (1929), H. 5, S. 87-90)
Nachruf für Anna Edinger. Mschr. Dtsch. Ärztinnen 6(1930), S. 58-59
Gesundheitspolitische Forderungen für Mutter und Kind (Soz. Arzt 6 (1930), Nr. 1, S. 8-10)
Friedrich Froebel und Montessori. (Kinderärztl. Praxis, 2. Bd. 1931, S. 495-501)
Bericht über die II. Internationale Konferenz für soziale Arbeit in Frankfurt/M. vom 11. bis 14. Juli 1932 (Ärztin 8 (1932), H. 9, S. 204-206)
Abbau d. Gesundheitsfürsorge und seine Gefahr für den Beruf der Fürsorgerin. (Fortschritte der Gesundheitsfürsorge 7. Bd. 1933) S. 48-51
Fürsorgeärztliche Betrachtungen zur Wohnungsfrage (Ärztin 7 (1941), H. 5, S. 111-115)
Deskriptoren:
§ 218
SPD
VsÄ (Verein sozialistischer Ärzte)
Abstinenzbewegung
BDÄ (Bund Deutscher Ärztinnen)
Öff. Gesundheitswesen
Ärztin im Emigrationsland
Abitur
(Auto-)Biographie vorhanden
sozialpol. Engagement
Approbation im Kaiserreich
jüdische Abstammung