Franziska Tiburtius

Allgemeines

Nachname:
Tiburtius
Vorname:
Franziska
Geburtsdatum:
24.01.1843
Geburtsort:
Bisdamitz/Rügen
Sterbedatum:
05.05.1927
Sterbeort:
Berlin
Konfession:
evangelisch
Beruf des Vaters:
Gutspächter
Sonstiges:
F. Tiburtius wurde als jüngstes von neun Kindern geboren. Sie wuchs auf dem von ihrem Vater gepachteten Gutshof auf Rügen auf. Ihre Mutter war eine Pfarrerstochter. Es ist anzunehmen, daß sie und ihre Geschwister nach dem frühen Tod ihres Vaters (1855) selbst für ihren Unterhalt sorgen mußten und offensichtlich war für sie und ihre Schwestern die Lehrerinnenlaufbahn geplant
2006 wurde in Berlin an der Alten Schönhauser Allee 23, an dem Haus, wo 1877 die "Poliklinik weiblicher Ärzte" eröffnet wurde, eine Gedenktafel für Emilie Lehmus u. Franziska Tiburtius angebracht

Ausbildung

Ausbildung und Schule:
1851-1859 Private Mädchenschule in Stralsund, 1860 Gouvernante in einem adligen Haus, 1868 Lehrerinnenexamen in Stralsund, 1870-1871 Erzieherin/Lehrerin in einem Mädchenpensionat in London
Studium: 18.10.1871-1876 Medizinstudium in Zürich, 1876 Volontärärztin in Dresden (an der königl. Entbindungsanstalt und Frauenklinik bei Franz von Winckel)
Ort der Promotion:
Zürich
Datum der Promotion:
1876
Ort der Approbation:
Schweiz

Beruf

Art der Tätigkeit:
1877 - 1907 niedergelassene Ärztin (ohne deutsche Approbation) in Berlin
1878 - 1907 Mitbegründerin und leitende Ärztin der Poliklinik für Frauen in Berlin
Gemeinschaftspraxis mit H. Pagelsen-Tiburtius, dann mit E. Lehmus (o.J.)
Vertrauensärztin bei größeren Lebensversicherungsgesellschaften (1897 seit längerer Zeit dort tätig)
Kurse am Viktoria Lyzeum
Kommentar zur Tätigkeit:
Erst im Alter von 27 Jahren - während ihres Englandaufenthaltes, entschloß sie sich, Medizin zu studieren - angeregt von ihrem Bruder, der selbst Arzt war und später die Zahnärztin Henriette Pagelsen-Hirschfeld heiratete. Während ihres Studiums verhielt sie sich gegenüber den russischen politisch engagierten Studentinnen reserviert und scheint auch sonst der Frauenbewegung nicht sehr nahegestanden zu haben.
Sie und E. Lehmus waren die ersten Ärztinnen in Deutschland, als sie sich 1877 in Berlin niederließ. Anfangs führte sie eine Gemeinschaftspraxis mit ihrer Schwägerin, der Zahnärztin Henriette Pagelsen-Hirschfeld. Dann tat sie sich mit ihrer Studienfreundin E. Lehmus zusammen, mit der sie neben der gemeinsamen Arztpraxis schon 1878 unter Berufung auf die Gewerbeordnung von 1878 eine Poliklinik für minderbemittelte Frauen eröffnete, nachdem ihr Ersuchen, das deutsche Staatsexamen machen zu können vom Reichskanzleramt abgelehnt und selbst die Ablegung des preußischen Hebammenexamens verweigert worden war.
1881 schloß sich an die Poliklinik eine ebenfalls von der Frauenbewegung unterstützte kleine Pflegeanstalt für unbemittelte Frauen an.
Zur stationären Behandlung zahlender Patientinnen entstand etwa 1894 eine kleine Privatklinik weiblicher Ärzte, die sich in der Folgezeit zu einem wichtigen Zentrum weiblicher ärztlicher Tätigkeit in Berlin entwickelte. F.T. betrachtete diese Klinik u. die Folgeeineinrichtungen, die sich daraus entwickelten, als Krönung ihres Lebenswerkes u. übte einen starken Einfluß auf die dort arbeitenden jungen Ärztinnen aus.
Parallel zu dem großen Zulauf an Patientinnen mußte sie sich als Ärztin der 1. Generation mit den Anfeindungen durch männliche Kollegen auseinandersetzen und um ihre Anerkennung kämpfen. So mußte sie z. B. aufgrund einer anonymen Anzeige und eines daraufhin gegen sie angestrengten Prozesses den auf ihrem Praxisschild geführten Titel "Dr. med." in "Dr. med. der Universität Zürich" abändern. Und ein von ihr geleiteter Winterkursus über Gesundheitslehre am Viktoria-Lyzeum, war Anlaß für Virchow aus dem Kuratorium der Schule auszutreten.
Ursprünglich ohne persönliches Verhältnis zu der Frauenbewegung, interessierte sie sich aufgrund ihrer eigenen Erfahrung im Studium und in der Praxis besonders für die Entwicklung des Frauenstudiums. Als engagierte Ärztin wurde sie auch vertraut mit den sozialen Problemen des weiblichen Proletariats der "Gründerzeit" und hatte Beziehungen zu namhaften Vertreterinnen der sich in jenen Jahren verstärkt organisierenden Frauenbewegung. Sie war befreundet mit Helene Lange, Minna Cauer, Jeanette Schwerin und Lina Morgenstern. Unter ihren Patientinnen waren Anna Schepeler, die frauenpolitisch aktive Tochter des Lette-Verein-Gründers, sowie Henriette Schrader, eine Nichte Fröbels, die dessen pädagogische Ideen weiterentwickelte.
1900 wurde ihr von Freunden und Patienten ein Fonds zu einer Franziska-Tiburtius-Stiftung überreicht.
1904 hielt sie auf dem Internationalen Frauenkongreß in Berlin einen Vortrag über die Stellung der Ärztinnen in Deutschland.
1907 zog. F. Tiburtius sich von der beruflichen ärztlichen Tätigkeit zurück, und überließ die "Klinik weiblicher Ärzte" den jüngeren Ärztinnen der zweiten und dritten Generation.
Tätigkeitsorte:
1876: Dresden
1877-1917: Berlin, dort: Poliklinik für Frauen, Schönhauserstr. 23/24 (1878-1907)
Haupttätigkeitsort:
Berlin
Mitgliedschaften:
`Berliner Frauenclub`von 1900 (Vorsitzende 1900/01)
Verein Krankenhaus weiblicher Ärzte e. V. (Ehrenvorsitzende 1914)
Deutscher Lyceum-Club (Schatzmeisterin in der Propaganda-Kommission im Hilfskomitee zur Errichtung einer Frauenkrankenhauses 1914)
Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten (1903)

Literatur

Quellen und Sekundärlitertur

Quellen:
Die ersten weiblichen Ärzte in Berlin. Ärzteblatt für Berlin 41(1936), 564-565
Die Ärztin 8(1978), S. 13, 14
Dtsch. Ärztebl (1973), H. 49, S. 3402-04
Der Tagesspiegel vom 24.1.1993, S. IV
Frankfurter Rundschau vom 16.1.1993, S. ZB 5
Helene Lange: Dr. Franziska Tiburtius. Ein Gedenkwort. (Die Frau 34(1926/27), S. 528/529)
Lennig, Petra: Franziska Tiburtius (1843-1927) oder die akademische Bildung der Frau - Erinnerungen einer Ärztin. (Zschr. ärztl. Fortb. 88 (1994), S. 705 - 714)
Dtsch. med. Wschr. (1927), S. 977
Münch. med. Wschr. 7(1927), S. 834
Die Frau 8(1900/01), S. 313, 374-376
I. Jahrb. d. Vereins Krkhs. weibl. Ärzte, 1914, S. 2
Gemkow, Ärztinnen und Studentinnen, 1991, S. 351
Kreis, M., (Diss.) 188, S.
Wohlberedt, W., Grabstätten IV, 1952/53, S. 41
Ziegeler, Weibl. Ärzte, 1993, S. 11, 12, 14, 21, 24, 25, 27, 42, 61, 62, 64, 65, 89, 92, 126, 127
Med. Reform 5 (1897) S.21
Frauenbewegung 4 (1898), S. 33
Jahresbericht d. Vereins Krankenhaus weiblicher Ärzte e.V. (1914), o.S.
Köhnecke, I.:"Keine Studentenbude für "Emazipierte" ", in: Dtsch.Ärztebl. H.49(1973), S. 3402ff.
Sievi, Janna: Gynäkologie in Zürich 1867-1887 (Diss. med.) 1993, S. 117-118, 129-130
Lange, Lebenserinnerungen, 1921, S. 175f.
Intern. Kongreß f. Frauenwerke, 1897, S. 282f.
Lück, Conradine: Frauen. Reutlingen 1937, S. 191ff.
Geschichte der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. (Hrsg.) Siegfried Borelli. Berlin. 1992. S. 90.
Meyer: Paulette: From "Uncertifiable" Medical Practice to the Berlin Clinic of Women Doctors: The Medical Career of Franziska Tiburtius (M.D. Zürich, 1876). DYNAMIS. Acta Hisp.Med.Sci.Hist.Illus. 19 (1999), S. 279ff.
Dtsch. Ärztebl (1973), H. 49, S. 3402-04
Der Tagesspiegel vom 24.1.1993, S. IV
Frankfurter Rundschau vom 16.1.1993, S. ZB 5
Helene Lange: Dr. Franziska Tiburtius. Ein Gedenkwort. (Die Frau 34(1926/27), S. 528/529)
Lennig, Petra: Franziska Tiburtius (1843-1927) oder die akademische Bildung der Frau - Erinnerungen einer Ärztin. (Zschr. ärztl. Fortb. 88 (1994), S. 705 - 714)
Dtsch. med. Wschr. (1927), S. 977
Münch. med. Wschr. 7(1927), S. 834
Lange, Christiane: Nur ein unzeitgemäßer Scherz? Akademikerinnen im Deutschland des späten 19. Jahrhunderts: franziska Tiburtius u.a. In: Holdenried, Michaela: Geschriebenes Leben. Berlin: Erich Schmidt 1995, S. 226-243
Hoesch, Kristin: Ärztinnen für Frauen. Kliniken in Berlin 1877-1914 (= Ergebnisse der Frauenforschung. Bd. 39). Berlin 1995
Bornemann, Regina: Erste weibliche Ärzte. Die Beispiele der 'Fräulein Doctores' Emilie Lehmuns (1841-1932) und Franziska Tiburtius (1843-1927). In: Weibliche Ärzte. Die Durchsetzung des Berufsbildes in Deutschland. Hrsg. Eva Brinkschulte. 2.Aufl. Berlin 1995, S. 24-32
Meyer, Selma: Dr. Franziska Tiburtius, die erste deutsche Ärztin 1843-1927 [Vortragsauszug]. Proteus 1(1931), 165-167
Schmidt, Ferdinand: Dr. med. Franziska Tiburtius, Deutschlands erste Ärztin. Med. Monatsspiegel (Merck) 9(1960), 244-247
Ärztin. 53(2006), H. 3, S. 9
Portrait:
Ja: Lennig, S. 709 (Portraitsamml. d. Zweigbibl. Wissenschaftsgeschichte der UB der Humboldt-Univ.Berlin)
Plothow, Anna: die Begründerinnen der deutschen Frauenbewegung, Leipzig, 1907, S.101

Eigene Publikationen

Autobiographie:
Erinnerung einer Achtzigjährigen. 2., erw. Auflage, Berlin 1925 (Weibliches Schaffen und Wirken, Bd. 1)
Publikationen:
Die Extensorenlähmung bei chronischer Bleivergiftung. Ueber Epilepsie saturnina und ihr Verhältnis zu Erkrankungen der Niere. Zürich, Diss. Med. v. 1876
Krankenpflege in der Familie (Die Frau 4(1896/97), S. 405-413)
Frauenuniversitäten oder gemeinsames Studium ? (Die Frau 5(1897/98), S. 577-585)
Aus den Jugendtagen des Frauenstudiums. Persönliche Erinnerungen (Die Frau 14(1906/07), S. 513-523)
Praktische Frauenarbeit im Dienst der Wissenschaft. Ein Reisebericht. (Die Frau 15 (1907/08). S.545-553 und 595-599)
Vierundzwanzig Stunden bei den Heiligen der letzten Tage (Die Frau 17(1909/10), S. 213-224)
Die Ärztin, und - was das Publikum von ihr erwartet (Med. Klinik 9(1913), S: 1145-1146)
Krieg und Frauenstudium. (Zschr. f. ärztl. Fortbildung 14(1917), S. 49 -52)
Das Frauenstudium in den letzten 30 Jahren, bei uns und anderswo (Zschr. f. ärztl. Fortbildung 24(1927), Nr. 4, S. 131ff.)
Die Ärztin, und - was das Publikum von ihr erwartet (Ärztin, 19(1943), 1, S. 7ff.)
Deskriptoren:
Frauenvereine
sozialpol. Engagement
(Auto-)Biographie vorhanden
Gesundheits-/Sexualberatung
Sexualaufklärung
nur Schweizerische Approbation
Klinik weiblicher Ärzte (o.ä.)
Vorberuf
Abitur
Approbation im Kaiserreich